ANIMAL-HOARDING
Vor kurzem habe ich Urlaub im Schwarzwald gemacht. Ich möchte
nicht viel über den Urlaub an sich erzählen, allen voran, weil ich denke, dass
es die meisten nicht interessieren wird. Nur so viel — das Wetter war einem
Oktober in der Ortschaft Mitteltal, Baiersbronn gerecht, heißt viel
Nebel, Regen und noch mehr Nebel.
Ich persönlich liebe diese Art von Wetter und
ging regelmäßig auf Spaziergänge durch den großen Schwarzwald. Dort, in der
Nähe meines recht teuren Hotels war eine sehr berühmte Tierklinik, in welcher
man die besten und schicksalsärmsten Freunde des Menschen adoptieren konnte.
Nun, ich muss wohl anmerken, dass berühmt vielleicht ein nicht
allzu gut gewähltes Synonym für lokal bekannt ist, doch ich
muss zugeben, dass ich mich in diesen fünf Tagen, in denen ich dort war - mehr
gab mein spontanes Budget bei diesem teuren Hotel nicht her - schon recht gut
in den Mikrokosmos dieser kleinen Ortschaft eingefunden habe. Nein wirklich —
ich musste mich später erst einmal wieder an die Großstadt gewöhnen.
Nun ja, worauf ich hinauswill, ist, dass ich
dieser Tierklinik einen Besuch abstattete. Ich erhoffte mir nicht wirklich
viel, da ich mit Haustieren schon die ein oder andere schlechte Erfahrung
gemacht habe.
Als Beispiel hatte ich als Achtjähriger ein
Aquarium mit den verschiedensten Fischen, welches ich stets pflegte und jeden
Sonntag reinigte. Nur das Schicksal hatte anscheinend etwas dagegen, dass die
meisten Fische auch nach einem Jahr noch mit dem Bauch nach unten schwammen, und
in den Sommerferien '96 schlug es dann zu. Ich war verreist und die Nachbarin,
welche während meiner Abwesenheit auf die Fische aufpassen sollte, hatte das
Pech, dass der Filter des Aquariums genau in dieser Zeitspanne ausfiel. Nach
diesem Ereignis hatte ich keine Lust noch einmal, ein Haustier die Toilette
runter zu spülen.
Ich überfliege gerade diesen Text, und in
dieser Abschweifung möchte ich mein Abschweifen entschuldigen, ich versuche
nun, beim Thema zu bleiben.
Das Innere dieser Tierhandlung war nicht so,
wie der Rest meines Urlaubes aussah. Klar, ich erwartete natürlich keine Frauen
in Dirndln, die mir Waisenhunde aufschwätzen wollen, doch auch für andere
Verhältnisse war diese Tierhandlung ein äußerst trostloser Ort.
Ich ging dort also durch riesigen Korridore,
voll mit armen Tieren, die so aussahen, als könnte man sie leicht mit
schicksalsschweren Attributen bezeichnen, die für mich allerdings nur so
wichtig waren, wie die Tannen, die die Ortschaft umringten, in der ich war. Ein
Tier allerdings faszinierte mich. Zuerst sah ich in einem dunklen Käfig nur
einen hellgelb leuchtenden Punkt. Ein Auge, dachte ich, doch wo ist das
andere? Ein Mitarbeiter der Klinik, oder Handlung, wie auch immer, kam zu mir,
und erklärte mir, dass dies ein Kater namens Tom war. »Der ist schon so 'n
schüchterner Junge, seit wir ihn vor 'ner Woche hierher gebracht haben«, sagte
er »Und wir haben ihn von so 'ner verrückten Frau aus Freudenstadt geholt. Die
war schon fast neunzig und hatte bei sich in der Wohnung fast vierzig Katzen.
Es gab viel Gedränge und bei den vielen Tieren wurde viel gekämpft, und so hat
Tom sein rechtes Auge verloren.« Vielleicht war es das, was mich so an dem
Kater faszinierte. Eine verstümmelte Katze, mit Narben vom Leben gezeichnet,
mit dem Einbüßen des rechten Augenlichts gestraft. Ich beschloss, den
Haustieren noch eine Chance zu geben, und adoptierte diesen Kater mit den
hellgelb leuchtenden Auge. Dieses Auge! Ich fragte mich, wie wohl sein anderes
aussah. Ich fragte mich, wie labil diese alte Frau wohl war. Diese Frau, mit
einer unbegründeten Liebe für diese Tiere, für diese verletzten Tiere. Dieses Auge!
Ich will hier festhalten, dass der Kauf dieses
neuen Lebensgefährten meinerseits das Highlight meines Urlaubs war. Ich bin
sozial nicht wirklich engagiert, weswegen ich immer früh nach dem Abendessen auf mein Hotelzimmer ging. Auf
meinem Hotelzimmer schaute ich dann meistens das schlechte Programm der vielen
Fernsehsender, die ich dort empfing. Am Abend des Kaufs meines neuen Haustieres
saß ich alleine im dunklen Zimmer und schaute »Teenager in Not« - eine dieser schlecht produzierten
Klischee-Sendungen – ich weiß selber nicht, warum ich mich dieser Beleidigung
meiner Intelligenz aussetzte, doch darum geht es nicht. Ich saß also im dunklen
Zimmer, welches nur durch den Fernseher etwas flächendeckend erhellt wurde. Ich
schaute zu der halboffenen Tür. Als Kind hatte ich immer Angst vor Türen, die
weder offen, noch geschlossen waren, besonders wenn es dunkel war. Das einzige,
was ich dort, im Flur des Hotelzimmers entdecken konnte war ein hellgelb
aufleuchtender Punkt. Dieses Auge!
Am letzten Tag, so hatte ich es mir
vorgenommen, wollte ich wandern gehen. Ich fühlte mich zwar nicht besonders
gut, und sah rückblickend gesehen auch nicht besonders aus, doch ich biss in
den sauren Apfel und machte mich auf den Weg zu einer alten Sattelei, oben auf
einem der Berge.
Mir kamen auf dem Weg nicht viele Wanderer
entgegen, doch wenn welche kamen, dann erntete ich von ihnen die schiefsten
Musterungsblicke, die man sich vorstellen kann. Ja, ich verbreitete sogar Angst
bei den anderen Spaziergängern, was ich mir beim besten Willen nicht erklären
konnte.
Ich kam auf dem Weg an einem kleinen Teich
vorbei. Erst wollte ich im klaren Wasser meine Beine baumeln lassen, doch
selbiges war viel zu kalt. Ich kam auf die Idee, mein Spiegelbild zu Mustern,
um vielleicht den Grund für die Anspannung mir gegenüber zu finden.
Ich sah direkt in mein Spiegelbild. Dieses Auge!